14.05.2019 – 28.05.2019
Dschungelnächte
Wir konnten also letztendlich den Fängen San Gil’s doch noch entkommen. Von nun an geht es wieder straff gen Süden. Auf den ersten Kilometern haben wir dabei den Rückspiegel immer fest im Blick und beobachten die Fahrzeuge und deren Kennzeichen hinter uns. Man weiß ja nie….
Laut Plan hätte jetzt die Kaffeeregion und das Valle de Cocora mit seinen hohen Wachspalmen auf der Agenda gestanden, allerdings haben wir durch die Misere in San Gil doch sehr viel Zeit verloren, so dass wir beschlossen haben, das Programm ein wenig zu verkürzen. Pablo Escobar’s afrikanische Flusspferde und auch den Markt in Silvia werden wir ein anderes Mal besuchen müssen. Es geht größtenteils auf bereits bekannten Pfaden zurück in Richtung Ecuador. Ab Mocoa wählen wir jedoch die Strecke entlang des Amazonasbeckens und steuern Nueva Loja an, besser bekannt als Lago Agrio. Von hier aus starten wir unser Abenteuer in den Urwald. Bei der Abfahrt schüttet es wie aus Kübeln, so einen Regen hatten wir auf unserer ganzen Reise noch nicht! Ein Kleinbus kutschiert uns zunächst 2 Stunden lang über Holperpisten, bis wir schließlich an einer unscheinbaren Brücke Halt machen. Sozusagen der „Busbahnhof“ der langen Kanus mit Außenborder, von denen uns eines für weitere zwei Stunden über den Rio Cuyabeno ins gleichnamige Reserve zur Bamboo Lodge schippert.
Schon auf der Bootsfahrt dorthin machen wir gleich mehrfach Bekanntschaft mit der Tierwelt der Amazonasregion. So zeigt uns der Bootsführer eine noch recht kleine Anakonda, die auf einem Baum in der Sonne döst, diverse Affen rasen durch den Wald, bzw. hüpfen durch dessen Wipfel und tatsächlich treffen wir unser erstes Faultier an. Bei dieser „Ausbeute“ können wir ja fast schon wieder umdrehen, machen wir aber nicht.
Stattdessen beziehen wir unser recht einfaches Quartier in der Lodge und machen gleich mal Bekanntschaft mit unseren Zimmergenossen, Fledermäuse. Dankenswerterweise haben die sich allerdings ihren Schlafplatz über dem ungenutzten Bett gesucht und kacken das voll, anstatt unsere Koje zu besudeln. Die Flattermänner werden uns die nächsten fünf Tage treu bleiben, tun aber nix. Am frühen Abend treffen wir schließlich Miguel, unseren Guide für die nächsten Tage. Der scheint irgendwie unter Dauerstrom zu stehen und ist bemüht, uns so viel Natur wie möglich nahe zu bringen. Und schon krabbeln wir nach Einbruch der Dunkelheit in Gummistiefeln durch den Regenwald und spüren allerlei Getier auf. Vornehmlich Insekten in allen möglichen Darreichungsformen. Dabei muss man ziemlich aufpassen, wo man stehen bleibt. Denn die unzähligen unterschiedlichen Ameisenvölker schätzen es nicht wirklich, wenn man auf ihren Hauptverkehrswegen herum lungert. Miguel hält nicht wirklich was von ausgetretenen Pfaden und so geht es querfeldein durch die stockfinstere Nacht, lediglich mit einer Taschenlampe bewaffnet. Da eine Machete ja schließlich die Pflanzen zerstören würde, wird auch darauf verzichtet. Und so kann es schon mal vorkommen, dass einem Zweige und Blätter durch Gesicht peitschen, oder eben das Viehzeuchs, das darauf sitzt. Miguel ist aber geübt und bringt alle Gringos wieder heile nach Hause.
Die nächsten Tage sind da schon ein wenig entspannter. Überwiegend geht es mit dem langen Außenbord-Kanu durch die verschlungenen Kanäle und Wasseradern des Cuyabeno Reserves. Derzeit ist Regenzeit und das Wasser steht beeindruckend hoch. Vom eigentlichen Flusslauf ist nicht mehr viel zu erkennen. Vielmehr ist die ganze Gegend ein einziges Überschwemmungsgebiet und wir lernen, dass einige der Bäume hier bis zu elf Monate bis kurz unterhalb ihrer Krone unter Wasser stehen. Der Cuyabeno ist ein „Schwarzwasserfluss“, dem die verrottenden Pflanzen seine markante dunkelbraune und doch durchsichtige Färbung geben. In dieser Art Wasser gibt es kaum Moskitos. Die wenigen, die sich hier aufhalten erwischen uns aber trotzdem….
Auf den meisten unserer Exkursionen werden wir von Gabriel sicher durch die teilweise engen Kanäle geschippert. „Gabo“ stammt aus einem der Indigen Dörfer am Flusslauf und ist kaum 20 Jahre alt. Er steuert das ziemlich lange und dünne Boot mit einer traumwandlerischen Sicherheit, dass man schon staunen muss. Und ganz nebenbei sieht er auch noch allerlei Getier in den Bäumen. Wir sind gerade unterwegs zu einem der Dörfer am Flusslauf, um uns das Leben der Einheimischen dort anzuschauen. Miguel hat uns bereits diverse Highlights der heimischen Fauna gezeigt und informiert Gabo, dass wir nun nach einem Faultier Ausschau halten wollen. Gabriel nickt kurz, wirft den Außenborder an und steuert das Boot nur ungefähr drei Bäume weiter völlig humorlos ins Unterholz und zeigt mit dem Finger in die Wipfel der gut 30 Meter hohen Baumkronen. Konzentriertes Starren der Passagiere, doch es braucht schon die aufklärenden Worte unseres Guides, bis wir schließlich das Faultier im Geäst erblicken. Da hängt es, völlig regungslos. Nur bei näherer Betrachtung ist das Fell des Tieres zu erkennen, was es ein wenig vom restlichen Baum abhebt. Wie nun unser Skipper beim Steuern des Bootes solche Entdeckungen machen kann, bleibt für uns ein Rätsel. Für ihn scheint es das Normalste der Welt. Bleibt nur die Frage, wie viele Tiere er bereits gesehen hat, bevor wir ihm gesagt haben, was wir suchen…..
Der Besuch in der Eingeborenengemeinde ist erfrischend ungezwungen. Normalerweise sind wir bei solchen Begegnungen immer ein wenig skeptisch, weil sie doch oftmals irgendwie gestellt wirken. Nicht so hier. Wir werden von Gardenia begrüßt, die heute mit uns Yuccabrot (auch als Maniok bekannt) backen möchte. Vorher müssen wir uns aber erstmal die Hände schmutzig machen und die Yuccawurzeln selber ernten. Die sind gar nicht mal so leicht aus dem schweren, lehmigen Boden heraus zu bekommen. Mit der richtigen Wackeltechnik geht’s dann aber doch. Ich kann also im nächsten Leben Yuccabauer werden. Das ist eigentlich denkbar einfach. Nach erfolgreicher Ernte nimmt man einfach ein wenig des „Yuccapflanzengeästes“ und steckt es wieder in den Boden. Kommt man nach ein paar Wochen wieder des Weges, warten bereits neue Yuccawurzeln im Boden, die heraus gewackelt werden wollen.
Die geernteten Knollen werden nun von ihrer Schale befreit, gewaschen und auf einer selbst gebauten „Gemüsereibe“ kleingemahlen. Danach wird der Yuccasaft mittels einer Matte aus Baumrinde aus dem Brei herausgepresst und schon kann der verbleibende Rest der Masse auf einem heißen Tonteller gebacken werden. Sieht mehr oder weniger wie ein Crêpes aus, ist aber ein wenig trockener und auch geschmacksneutraler, aber dennoch gar nicht mal schlecht. Sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass es von den vielen Yucca-Arten nur ganze vier gibt, die für den menschlichen Verzehr geeignet sind. Die drei Kids von Gardenia haben natürlich längst gecheckt, dass es hier in Kürze was zu futtern gibt und vertreiben sich die Zeit bis dahin mit Herumtoben in den Hängematten. Lediglich die Tochter hilft mit dem Feuer und beim Kochen.
Nach dem Mittagessen kommt dann noch der Dorfschamane vorbei und erzählt von seinem Alltagsleben. Schamanen sind ein wichtiger Bestandteil des Dorflebens und werden bei allen möglichen Fragen kontaktiert. Am wichtigsten ist aber ihr Kontakt zur anderen Welt. Mittels eines Tranks namens Ayahusca versetzen sie sich dabei in Trance und befragen Ahnen, Geister und wen weiß ich noch um Rat. Bei der Gelegenheit nimmt der Schamane gleich mal Janina’s Aura und die eines weiteren Gastes unter die Lupe. Fazit: nix Genaues weiß man nicht….
Zufrieden lassen wir uns von Gabo wieder zurück schippern. In der nahe gelegenen Laguna Grande hüpfen wir noch schnell über Bord, um im erfrischenden Wasser des Cuyabeno ein kurzes Bad zu nehmen. Angeblich gibt’s an dieser Stelle keine Kaimane…..
Ein besonders Schmankerl wartet am nächsten Morgen. Mit dem Kanu paddelt Miguel mit uns im Morgengrauen hinaus auf die Lagune, um Ausschau nach Flussdelfinen zu halten. Bislang hatte ich gedacht, dass deren Sichtung ungefähr so wahrscheinlich ist, wie die eines Einhorns. Aber schon kurze Zeit später werden wir tatsächlich von einigen Delfinen umkreist. Ich bin so perplex, dass ich nicht ein anständiges Fotos zu Stande bringe, ist mir letztendlich aber total schnuppe.
Am Nachmittag geht es dann ebenfalls mit dem Paddelboot durch die engen Wasserwege. Wir sind auf dem Weg zu einer entlegenen Lagune, auf der Motorboote nicht erlaubt sind. Ganz ohne lärmenden Außenborder bekommt man viel mehr der wilden Tiere zu Gesicht. Totenkopfäffchen, Wollaffen, Kapuziner Affen und die urig aussehenden Sakis toben über uns durch die Bäume. Sehr beeindruckend. Ebenfalls beeindruckt ist Miguel von Janina’s Sichtung eines weiteren Faultiers. Der lethargische Zeitgenosse hängt entspannt im Wipfel eines Urwaldriesen und hat dabei seinen Kopf bequem auf eine durchhängende Liane gebettet. Fauler Kerl.
Auch wenn wir die ganz großen Säuger, wie Jaguar und Tapir nicht zu Gesicht bekommen haben, sind wir doch mit unserer Ausbeute unserer fünf Tage im Dschungel sehr zufrieden. Selbst das Wetter ist uns trotz Regenzeit wohlgesonnen gewesen. Bis auf den sintflutartigen Regen bei Abfahrt und einem kleinen Schauer, den wir aber gut im Haus von Gardenia aussitzen konnten, mussten wir eher Angst vor Sonnenbrand haben. Nachdem Gabriel uns sicher und wohlbehalten wieder an der unscheinbaren Brücke am Flusslauf abgesetzt hat und wir die 2-stündige Holperfahrt zurück nach Lago Agrio auch noch überstanden haben, starten wir unser Buschtaxi und tuckern weiter nach Puerto Franciso Orellana, eigentlich nur bekannt als Coca, ein Ölarbeiter-Städtchen mit zweifelhaftem Ruf. Eine Nacht hier ist vollkommen ausreichend und schon düsen wir weiter gen Süden die Troncal Amazonica entlang, auf der man erschreckend entspannt und zügig voran kommt.
Wir stoppen nochmal kurz am Sangay Nationalpark, der für sein schlechtes Wetter bekannt ist. Den ganzen Tag war die Sonne unser Begleiter, doch kaum stellen wir am Parkrand den Motor ab, beginnt es zu regnen. Prompt ist am nächsten Morgen der Wasserstand des Flusses, den man zum Parkeingang hin queren muss, zu hoch. Ein Parkranger kommt auf seinem Moped des Weges und muss ebenfalls auf niedrigeres Wasser warten. Er ist so erfreut über unseren Besuch, dass er kurzerhand in die Büsche entschwindet, um sich dort einen Selfie-Stick zu „schlagen“. Mit einer Rute in passender Länge kommt er wieder herbei gelaufen und klemmt sein Smartphone an das obere Ende, um mit uns zu posieren. Wir ziehen uns noch kurz mit einer Gondel am Drahtseil selber trockenen Fußes über den Fluss, setzen dann aber doch lieber unsere Reise Richtung Podocarpus Nationalpark fort, den wir per Wanderung erforschen. Auch hier verstecken sich Puma, Tapir und Co. vor unseren neugierigen Blicken. Dafür kann aber zumindest ein weiblicher Felsenhahn (oder heißt das Felsenhenne?) kaum gegen ihre Neugierde ankämpfen und springt aufgeregt durchs Geäst, um uns zu beäugen. Das weibliche Pendant zum orange schillernden Cock on the Rock ist eher unscheinbar und braun, aber trotzdem eine erfolgreiche Sichtung.
Und auch einen anderen merkwürdigen Zeitgenossen bekommen wir vor die Linse. Einen „Amazon Umbrella Bird“. Keine Ahnung, ob der tatsächlich auf Deutsch auch Amazonas Schirmvogel heißt. Scheinbar ist der so selten, dass es keinen deutschen Namen für ihn gibt. Da werden wir wohl bei National Geografic vorsprechen müssen, um denen unsere Fotos zu verkaufen.
Der Podocarpus gefällt uns ausgesprochen gut und mehr als zufrieden nähern wir uns der peruanischen Grenze. Vorher machen wir aber noch einen letzten Stopp in Vilcabamba, um dort nach einigen Wochen Martin und Liliana wieder zu sehen. Nach unserem letzten Treffen in San Gil / Barichara ist einiges passiert und es gibt viel zu erzählen.