Südamerika Kolumbien

Unverhofft kommt oft, oder: Kameraklau letzter Akt

11.05.2019 – 13.05.2019

Unverhofft kommt oft, oder: Kameraklau letzter Akt

Wir haben uns also dazu entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Zwar wagen wir es kaum zu glauben, dass wir unsere geklauten Sachen doch noch zurück bekommen werden, aber diesmal sind zwei Dinge grundlegend anders, als beim letzten, geplatzten Termin. Erstens, wir haben das Wort des gegnerischen Anwalts, dass seine Klienten zu diesem Termin erscheinen werden. Zweitens, diesmal haben wir wirklich Beweisfotos erhalten, die eindeutig belegen, dass sich unsere Sachen noch (oder wieder) im Besitz der Diebe befinden. Das ist Grund genug für uns die mehr als 700 km Umweg in Kauf zu nehmen. Letzte Chance für die Ganoven ihre Haftstrafe zu verkürzen.

Wir „brettern“ also von Jardin zurück durch Medellin und weiter durch das Flachland des Rio Magdalena. Das Ganze ist eine zwei-tages Tour und die Tiefebene ist wie immer schweißtreibend heiß und stickig. Für Sightseeing bleibt diesmal keine Zeit und nachdem wir die vielleicht schönste Teerstraße Kolumbiens zwischen Bucamaranga und San Gil nun dritten Mal gefahren sind, treffen wir erneut im Camp von Joep und Julia ein, die uns herzlich begrüßen. Es ist beinahe wie nach Hause zu kommen, aber irgendwie aus einem unschönen Anlass.

Der Termin findet tags drauf um 11:00 Uhr statt. Es ist der 13. Mai 2019, wer wird da abergläubisch sein?

Wie immer wollen wir das Auto am Polizeirevier parken, weil wir es dort in Sicherheit wähnen. Diesmal aber stoßen wir auf einen motivierten, jungen Polizisten, der uns das nicht gestatten will. Der pflichtbewusste Beamte möchte zwar nur seinen Job machen, aber uns jetzt noch auf die Suche nach einem anderen Parkplatz zu machen, können wir irgendwie grad gar nicht gebrauchen. Wie immer ist San Gil ziemlich verstopft. Der Kollege am Empfang kennt uns aber noch vom letzten Mal und begrüßt uns mit den Worten: „Ach, ihr seid doch die mit der Kamera?“ – Ja, genau. Die sind wir. Kurzes Telefonat und wir haben das Okay, unseren Landcruiser auf dem Gelände der Polizei abzustellen. Wir sind 10 Minuten vor der Zeit am Justizgebäude und gerade mit der Registrierung am Eingang beschäftigt, als der Anwalt der Gegenseite an uns vorbei huscht. Eigentlich hatten wir gedacht, er hätte den Rucksack mit unserer Kameraausrüstung dabei. Da er das aber nicht hat, werden unsere Mienen gleich wieder ein bisschen finsterer. Der Beamte am Eingang kassiert wie immer unsere Telefone ein und lässt uns passieren. Das Büro der Staatsanwältin ist im ersten Stock und als wir um die Ecke kommen, sitzen da zwei junge Männer auf dem Gang. Wie immer wünsche ich einen guten Tag und bemerke erst dann, dass einer der beiden meinen Kamerarucksack vor sich stehen hat. Janina erkennt den Kerl sofort wieder, mein Hirn scheint da langsamer zu arbeiten. Kein Zweifel, der Dieb vom Überwachungsvideo und sein Kumpane. Beide ordentlich gekleidet und von gepflegter Erscheinung. Würde man ihnen auf der Straße begegnen, könnte man sie durchaus als nette, junge Herren einstufen. Wir wissen es besser! Jetzt sitzen sie da, schwitzen und wippen nervös mit den Beinen. Gut so, denn es geht um viel für die Beiden, die übrigens von ihrem Anwalt keines Blickes gewürdigt werden. Kein „Hallo“, kein Handschlag, kein gar nichts. Ganz so, als würde er die Beiden gar nicht kennen.

Wir begrüßen zunächst die Staatsanwältin und ihre Kollegin und wünschen den Damen alles Gute zum gestrigen Muttertag. Es dauert noch ein wenig, bis wir mit dem Prozedere beginnen können. Aber schließlich wird es voll im Büro der Justizangestellten. Es sind anwesend: Die Staatsanwältin und ein Protokollant, wir zwei, ein Übersetzer, der uns zur Verfügung gestellt wird, ein „Anwalt“ der uns zur Seite steht, der Anwalt der Gegenseite und schließlich die zwei Diebe. Der Dolmetscher kennt uns und den Fall übrigens bereits aus der lokalen Presse, wir haben es also in San Gil schon zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht. Es ist auch so schon ein recht heißer Tag heute, ein kleines Büro, vollgestopft mit Leuten, macht die Sache auch nicht angenehmer, der Schweiß rinnt.

Als Erstes steht der Kuhhandel auf dem Programm. Der Protokollant bringt zu Papier, was die Staatsanwältin ihm diktiert und bereits vor einigen Wochen ausgehandelt wurde. Wir bekommen von den Schurken unsere Kameraausrüstung zurück und treten dafür von weiteren Forderungen zurück. Die Diebe erhalten dafür eine Strafmilderung. Das Ganze ist in sofern etwas surreal, als dass der Rucksack mit der Ausrüstung sich bereits im selben Raum befindet und immer noch nicht von einem Staatsdiener beschlagnahmt wird. Haben wir da einen Denkfehler, oder ist das tatsächlich leicht merkwürdig??? Der Autoknacker überreicht mir den Rucksack und ich checke sogleich, ob alles vorhanden ist. Außerdem wird jede Linse auf Beschädigungen und Funktion geprüft. Scheinbar ist alles in Ordnung. Lediglich ein paar Ladekabel scheinen abhanden gekommen zu sein.

Nachdem das Protokoll erstellt ist, übersetzt der freundliche junge Herr alles ins Englische, damit wir dem ganzen zustimmen können. Wir fragen bezüglich einiger Dinge nochmals nach, stellen sicher, dass hier keine weiteren Kosten für z.B. Übersetzer, Anwalt etc. auf uns zukommen (merkt man eigentlich, dass wir mittlerweile hier gar keinem mehr vertrauen?) und nicken die Sache schließlich ab.

Der Kuhhandel ist abgeschlossen, es folgt der zweite Teil: Die Festlegung des Strafmaßes. Auch dazu bedarf es unserer Unterschrift. Das Büro wird gewechselt und alle marschieren im Gänsemarsch einen Raum weiter. Das Strafmaß richtet sich offensichtlich nach der Schwere des Vergehens und liegt zwischen 9 und 24 Jahren. Da werden sogar wir blass. In diesem Fall hat der Richter die Strafen aber bereits mit dem fischäugigen Anwalt ausgehandelt. Ohne Deal: 128 Monate (ja, 10 Jahre und 8 Monte!). Mit Deal und unserer Unterschrift: 27 Monate. Immer noch 2 Jahre und 3 Monate, ohne Bewährung und ein lebenslanger Eintrag in die Akte der Herren. Wieder wird alles protokolliert und der nette, junge Dolmetscher, dem es sichtlich unangenehm ist, dass wir diese Erfahrung in seinem Land machen mussten, übersetzt wieder geduldig alles. Nachdem sichergestellt ist, dass wir alles richtig verstanden haben, gibt es wieder eine menge Unterschriften. Die beiden Langfinger scheinen durchzuatmen. Wir sind weit davon entfernt, Sympathie für die beiden Diebe zu empfinden, die uns die letzten Wochen und auch die Reiseerfahrungen in Kolumbien nicht gerade versüßt haben. Aber immerhin gehen da zwei junge Männer, die vielleicht Familie haben, für einige Zeit in den Knast. Daher möchte ich eigentlich als Letztes zum Ausdruck bringen, dass ich hoffe, dass zumindest ihre Frauen und Kinder in der Zeit, in der die Beiden einsitzen, versorgt sind. Allerdings scheint etwas bei der Übersetzung schief zu gehen, oder „sich um Jemanden kümmern“ hat in Kolumbien eine andere Bedeutung als gedacht….

Der ganze Akt ist schließlich über die Bühne gegangen und wir bekommen noch mitgeteilt, dass schon morgen der Richter das Urteil verkünden wird. Dazu werden zwar auch wir eingeladen sein, aber wir teilen der Staatsanwältin gleich mit, dass wir dann schon längst ein paar hundert Kilometer weiter südlich sein werden. Wir schnappen uns unser Hab und Gut und schleppen diesen viel zu schweren Rucksack durch die Straßen von San Gil zurück zur Polizeistation zu unserem Auto. Der Schweiß rinnt und ich muss sagen, ich war noch nie so froh darüber….

An der Polizeiwache läuft uns wie bestellt der Major über den Weg und freut sich sichtlich über den relativ guten Ausgang. Es werden noch schnell ein paar Fotos von uns und dem zurückerlangten Eigentum gemacht und auch eine kleine Danksagung für die Polizei auf Video aufgenommen. Und unterm Strich muss man es tatsächlich zugeben. So schräg die ganze Sache verlaufen ist und so wenig Vertrauen wir über die letzten Wochen in das kolumbianische Rechtssystem hatten; hätte die Polizei am Abend des 15. April nicht alles getan, um einen solch schnellen Fahndungserfolg zu erzielen, wir hätten unsere Sachen niemals zurück bekommen.

Bei unserer Abfahrt treffen wir dann noch auf unseren ermittelnden Kriminalbeamten und können uns somit auch noch von ihm verabschieden. Auch er strahlt übers ganze Gesicht, ob des Erfolges.

Schließlich schmeißen wir den Landcrusier an, drehen den Kompass auf Süd und „legen nen Backstein aufs Gaspedal“. Nichts wie weg hier! San Gil wird wohl auf Ewig eine „Area“ non Grata für uns bleiben….

 

 

Fazit:

Viele Dinge werden wohl für uns auf ewig ein Rätsel bleiben. Sowohl was das Rechtssystem anbelangt, als auch die Geschichte um unsere Kameraausrüstung. Ob die Diebe sie tatsächlich zwischenzeitlich verhökert haben und sie erst wiederbeschaffen mussten, bleibt fraglich. Es wird sich allerdings später herausstellen, dass zumindest die Festplatte und die Speicherkarten gelöscht wurden. Vermutlich, um Spuren zu verwischen und sie verkaufen zu können.  Auf den Speicherkarten befanden sich bei Rückgabe doch tatsächlich Fotos, die von jemand Anderem gemacht wurden. Teilweise waren sogar Personen und Fahrzeugkennzeichen zu erkennen. Was für geistige Tiefflieger. Die Daten haben wir zunächst auf Viren gescannt und dann der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt…..

Schlussendlich kann man festhalten, dass unsere Sachen irgendwo ins kolumbianische Hinterland verschleppt wurden. Nach genau einem Monat haben wir sie zurück erhalten und genau darauf hätten wir zwischenzeitlich keinen Pfifferling mehr gesetzt. Der Teil unserer Ausrüstung hat nun definitiv eine interessante Geschichte zu erzählen, auch wenn wir darauf gut hätten verzichten können….

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