Südamerika Kolumbien

Rechtsstaat oder Bananenrepublik?

25.04.2019 – 26.04.2019

Rechtsstaat oder Bananenrepublik?

Die Tour durch kleine, schlammige Täler und vorbei am Chicamocha Canyon hat den Kopf wieder einigermaßen frei gemacht. Aber für den Termin bei der Staatsanwaltschaft kehren wir leicht widerwillig nach San Gil zurück. Wir treffen uns alle am Donnerstag Mittag im Camp von Joep wieder, sicher, dass der nächste Tag wieder einiges an Überraschungen bereithalten wird. Martin und Liliana haben Wort gehalten und sind tatsächlich die ganze Strecke wieder zurück gefahren. Aufgrund des offiziellen Anlasses beschließe ich noch schnell zum Frisör zu gehen und keine fünf Minuten später, bereue ich diese Entscheidung auch schon wieder. Es bleibt ungeklärt, ob das nun ein sehr femininer Kerl, oder ein Mannsweib war, der/die/das mich da verunstaltet hat. Ist auch kein Wunder; war Er/Sie/Es doch stark abgelenkt von einer ohrenbetäubend lauten Telenovela. Fest steht allerdings, dass ich wohl mal wieder für ein paar Wochen auf kein Foto kann.

In der Nähe von Barichara, Kolumbien 2019
If you can’t walk it, don’t drive it, Kolumbien 2019
Tiefe Täler, gewundene Strassen, Kolumbien 2019
Am Chicamocha Canyon, das gelbe Ding auf dem Felsen ist ein R4, Kolumbien 2019
Am Chicamocha Canyon, Kolumbien 2019

Am Freitag dann endlich der ersehnte Termin bei der Staatsanwaltschaft. Wir stehen bereits vor dem Gebäude, als wir die Nachricht erhalten, dass die Besprechung abgesagt wurde. Unseren Gemütszustand nur als verärgert zu umschreiben, wäre etwas untertrieben. Schließlich sind wir alle extra deswegen hierher zurückgekommen. Besonders für Liliana und Martin tut es uns sehr leid, die Beiden wären schließlich für nichts und wieder nichts mehrere hundert Kilometer hin und zurück gefahren. Wir bahnen uns unseren Weg trotzdem durch bis zum Büro der Pink Lady und finden heraus, dass diese nicht einmal im Hause ist. Lediglich ihr Sekretär lässt sich dazu herab, mit uns zu sprechen. Endlich kann (und darf) Liliana mal ihr mexikanisches Temperament von der Kette lassen. Aber auch der Sekretär scheint nicht auf den Mund gefallen. Die beiden zicken sich offen an. Wenn sich spanischsprachige Menschen untereinander unterhalten, versteht man als Außenstehender oftmals nur „Bahnhof“, erst recht, wenn die Gemüter erhitzt sind. Das ist in diesem Fall nicht anders. Ein weiterer Mitarbeiter des Büros, ein dürrer junger Kerl, versucht beschwichtigend einzugreifen. Er rückt tatsächlich die Telefonnummer des fischäugigen Doctores raus und beschreibt uns sogar den Weg zu seinem Büro, das gleich um die Ecke liegt. Wir ziehen ab und statten dem Anwalt einen Besuch ab, fest davon überzeugt, dass der uns erst gar nicht empfängt. Überraschenderweise tut er es aber doch. Gönnerhaft bittet er uns in sein Büro und schaufelt sich dabei eine Hand voll frisch gerösteter „Big Ass Ants“ (Hormiga Culona) in den Mund (eine Ameisenart mit auffallend großem Hinterteil, die geröstet als Delikatesse gilt). Wir sind uns beinahe sicher, dass jeden Moment seine Sekretärin durch die Tür kommt, um ihn an einen „wichtigen Termin“ zu erinnern und sind abermals überrascht, dass das nicht passiert.

Hormiga Culona, Kolumbien 2019

Wir sind über eine Stunde im Büro des Anwalts, der sichtlich sauer ist, dass uns das Büro der Staatsanwaltschaft seine Telefonnummer und Adresse gegeben hat. Liliana fragt gleich mal nach, wieso der Termin so kurzfristig abgesagt wurde. Fischauge passt es wohl überhaupt nicht, dass dieses „junge Fräulein“ aus Mexiko ihm so fordernd gegenüber tritt. Er baut sich so hoch wie möglich hinter seinem Schreibtisch auf, um unsere Dolmetscherin von so weit oben wie möglich anschauen zu können. Mit ausladenden Gesten und bedeutungsschwangeren Sprechpausen versucht er uns klar zu machen, dass wir doch etwas dankbarer sein sollten, dass er uns überhaupt empfangen hat und dass es ihm gleichgültiger nicht sein könnte, was mit seinen Klienten passieren wird. Und einem Treffen zu dem von uns genannten Termin habe er nie zugestimmt. Liliana zuckt ob der Einschüchterungsversuche mit keiner Wimper. Und im folgenden Gespräch kristallisiert sich heraus, dass uns entweder der Anwalt gerade anlügt, oder die Lady Pink das Telefongespräch anfangs der Woche tatsächlich vorgetäuscht hat. Das kam uns eh schon so merkwürdig vor. Des Weiteren teilt uns der Anwalt mit, dass die Lady in Pink gar nicht mehr zuständig sei für den Fall, der läge jetzt auf dem Schreibtisch einer anderen Kollegin. Warum uns das aber der Assistent im Staatsanwaltsbüro nicht einfach mitgeteilt hat, bleibt rätselhaft. Wir erfahren auch das Strafmaß, um das es für die Diebe geht. Für den Fall, dass das Diebesgut nicht wieder auftaucht und sie den Schaden auch nicht mit Barem kompensieren können, gehen sie für 128 Monate in den Bau. Kommt ein Deal mit uns zustande, wären es maximal 27 Monate. Umso unverständlicher, warum die Diebe sich überhaupt nicht bemühen, die Sachen zurück zu geben….. (Aber die Erklärung dafür werden wir uns heute auch noch erarbeiten). Als Zeichen seines guten Willens bietet uns der Anwalt an, in unserem Beisein mit seinem Klienten zu telefonieren und nach dem Stand der Dinge zu fragen. Dieses Gespräch scheint tatsächlich kein fake zu sein, denn wir können mithören, wie sich der Mann am anderen Ende der Leitung lautstark über das mögliche Strafmaß beklagt und scheinbar seinen Rechtsvertreter auffordert, doch einen besseren Deal abzuschließen. Es folgen wieder bedeutungsschwere Erklärungen des Anwalts und schließlich stellt sich heraus, dass die Diebe gar nicht mehr im Besitz unserer Sachen sind. Sie müssten sie erst von ihren Käufern und/oder Hehlern zurückkaufen. So behaupten sie es zumindest (glauben tun wir aber schon lange keinem mehr…). Uns entgleisen sämtliche Gesichtszüge, denn so naiv zu glauben, dass das auch nur ansatzweise gelingen könnte, sind wir nun auch wieder nicht. Hätte man uns das bereits vor eineinhalb Wochen gesagt, hätten wir uns gedanklich schon von unserem Eigentum verabschiedet und die Reise zähneknirschend fortgesetzt. So schweben wir nun seit geraumer Zeit zwischen Hoffnung und Ungewissheit, was wirklich nervt. Fischauge sagt großherzig zu, uns auf dem Laufenden zu halten, seine Nummer hätten wir ja bereits. Ich kann aber schon mal vorweg nehmen, dass er natürlich auf keine unserer Nachrichten reagiert hat. Wer hätte es gedacht?

Leicht gereizt sprechen wir nochmal bei der Staatsanwaltschaft vor, um mit der zuständigen Dame zu sprechen. Diesmal treffen wir auf einen eher mütterlichen Typ. Die Dame entschuldigt sich sogar und versichert uns, dass ihr sehr an der Klärung des Falls gelegen ist. Auch das Strafmaß kann sie uns bestätigen. Allerdings teilt sie uns auch mit, dass wir dem Strafprozess quasi zur Verfügung stehen müssen und der kann sich über einen langen Zeitraum hin ziehen. Wenn wir die Sache nicht weiter verfolgen, gehen die Täter eventuell straffrei aus. Das wäre dann auch die Erklärung für die Untätigkeit der Diebe. Denen und vor Allem ihrem Anwalt, dürfte klar sein, dass wir uns nicht unbegrenzt in Kolumbien aufhalten können. Also tun sie einfach gar nichts, sitzen die ganze Sache aus und versuchen alles so weit wie möglich in die Länge zu ziehen. Zwar teilt uns die Staatsanwältin mit, dass wir auch per Videokonferenz am weiteren Prozess teilnehmen können, aber das wird für uns mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein.

Die Staatsanwaltschaft, San Gil, Kolumbien 2019
Die Staatsanwaltschaft, San Gil, Kolumbien 2019

Völlig ernüchtert ziehen wir folgendes Fazit:

Die Diebe haben unser Hab und Gut bereits verhökert. Zwar könnten sie ihr Strafmaß erheblich verringern, indem sie uns die Sachen zurückgeben oder auszahlen, aber es ist viel einfacher abzuwarten, bis wir verschwunden sind.

Kurz denken wir darüber nach, uns hier selber einen Anwalt zu nehmen, verwerfen den Gedanken aber gleich wieder. So wie wir das Rechtssystem hier kennen gelernt haben, bekommen wir unsere Wertgegenstände eh nicht wieder und bleiben am Ende auch noch auf den Anwaltskosten sitzen. Wir wünschten uns nur, man hätte uns von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, wir hätten uns beinahe zwei Wochen Scherereien erspart und hätten obendrein nicht auch noch so viel kostbare Reisezeit verschenkt.

Zu guter Letzt versichert uns die neue Staatsanwältin, die Sache weiter zu verfolgen und uns auf dem Laufenden zu halten. Wir sind uns aber sicher, wir können die Sache ein für allemal abhaken….

                                                          …..oder doch nicht….?

 

Der Tatort, San Gil, Kolumbien 2019

Nach so viel Ernüchterung gönnen wir uns mit Martin und Liliana noch einen weniger nüchternen Abschiedsabend. Wenigstens gibt es einen positiven Aspekt an der ganzen Geschichte festzuhalten und Martin nimmt uns beinahe die Worte aus dem Mund: Wir haben einen Teil unseres Hab und Guts verloren, dafür aber neue Freunde gewonnen. Nach einer herzlichen Verabschiedung am nächsten Morgen, setzen wir unsere Reisen in entgegengesetzte Richtungen fort. Wir werden noch oft von einander hören.

Tarantula, Guaimaro Camp, Barichara, Kolumbien 2019
Guaimaro Camp, Barichara, Kolumbien 2019

 

P.S.

Leider erreicht uns an unserem letzten Abend in Joep’ s Camp noch eine weitere schlechte Nachricht. Anthony und Barbara, die beiden Neuseeländer, die wir in letzter Zeit immer mal wieder getroffen haben, wurden in Valledupar ebenfalls ausgeraubt. Die Zwei waren nur mal eben schnell ein paar Empanadas essen. Als sie zurück zum Auto kommen, ist auch bei ihnen eine Tür aufgebrochen. Ergebnis: Kamera weg, Laptop weg, Geld weg, Pässe weg. Und was vielleicht am meisten schmerzt: Alle Fotos ihrer Südamerikareise weg.

 

Herzlich willkommen in Kolumbien…

 

 

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