Südamerika Kolumbien

Ausgerechnet Kolumbien

15.04.2019 – 24.04.2019

Ausgerechnet Kolumbien

Es gibt so Tage, von denen man befürchtet, dass man sie irgendwann einmal erleben muss und gleichzeitig hofft, sie mögen an einem vorüber gehen. Für uns ist das der 15. April 2019. Was haben wir im Vorfeld nicht alles unternommen, um das Fahrzeug einbruchsicher zu machen. Aber manchmal meint der Kosmos es einfach nicht gut mit Einem.

Wir haben einen verhältnismäßig einfachen Fahrtag hinter uns. Von Villa de Leyva bis nach Barichara sind es in etwa 200 km. Die kann man mit einigen kleinen Stopps ganz gut an einem Tag erledigen. Es ist später Nachmittag, als wir in San Gil, dem letzten größeren Ort vor Barichara, ankommen. Um Geld abzuheben gurken wir mitten durchs hoffnungslos überfüllte Stadtzentrum, Parken unmöglich. Was solls! Heben wir halt in den nächsten Tagen irgendwo anders Geld ab, das kann warten. Noch haben wir ein paar hunderttausend Pesos, mit denen wir zumindest noch ein paar Lebensmittel für die nächsten Tage einkaufen können. Also nur kurz in den Supermarkt und dann direkt weiter zum Camp in der Nähe von Barichara. Wir parken das Auto direkt vor dem Lebensmittelgeschäft und verschließen alles. Die paar Sachen sollten in maximal fünf Minuten eingekauft sein. Wie immer im Supermarkt überkommt mich so zwei bis drei Mal das Gefühl, nach dem Auto sehen zu müssen, aber das ist vollkommen normal und wie immer widerstehe ich dem Zwang. Man ist ja schließlich nicht paranoid….

Irgendwann steht plötzlich ein Bombero (Feuerwehrmann) vor mir und trotz meiner  immer noch mangelhaften Spanischkenntnisse kann ich heraus hören, dass er wissen will, ob uns der blaue Landcruiser mit dem ausländischen Kennzeichen vor der Tür gehört. Da wir die einzigen Gringos im Laden sind, ist das ein naheliegender Schluss. Weiter verstehe ich, dass wohl jemand an unserem Auto war und ich doch mal besser nachsehen soll, ob alles in Ordnung ist. Ein Check der vorderen Türen wiegt mich zunächst in Sicherheit. Wir haben vor der Reise einbruchsichere Folie an den Scheiben angebracht und zusätzliche Sicherheitsriegel, die man einfach um 90° dreht und somit die Tür blockiert (Thule Universal Lock / hochgradig empfehlenswert). D.h. Scheibe einschlagen ist nicht und falls ein Bösewicht doch irgendwie durchs Fenster kommt, kann er die Tür trotzdem nicht öffnen, weil der Zusatzriegel sie versperrt. Somit ist ein einfacher Abtransport von Diebesgut erschwert und genau darauf wollten wir heraus. Den schnellen Zugriff auf das Auto vermeiden. Leider haben wir für die Hecktür ein anderes System gewählt (Thule Van Lock). Zwar sind auch hier die Scheiben mit derselben Folie gesichert, aber der Sicherheitsriegel ist an einer der Flügeltüren befestigt, wird seitlich verschoben und greift an der anderen Flügeltür in ein Gegenstück, wo er mittels Schloss gesichert wird. An sich ein sehr gutes und sicheres System. Aber eben nicht am Heck des Fahrzeugs. Hier ist während der Fahrt immer ein Unterdruck, der Staub ansaugt. Innerhalb kurzer Zeit ist der Sicherheitsriegel und sogar der Schließzylinder des Schlosses mit Dreck verstopft und nicht mehr zu bewegen. Wir konnten also die Tür „nur“ mittels des originalen Schlosses abschließen. Und genau das nutzte ein fieser Dieb schamlos aus. Als ich an der Hecktür ankomme, sehe gleich den zerstörten Schließzylinder und das verbogene Blech. Die Tür ist aufgebrochen! Als erstes registriere ich, dass der Rucksack mit der dreckigen Wäsche fehlt. An sich schon mal ärgerlich. Allerdings fehlt noch etwas anderes und das dauert ein wenig, bis das im Kleinhirn angekommen ist….

Der Kamerarucksack ist ebenfalls weg! Das ist ein wirklicher Schock. Eigentlich liegt er immer vorne zwischen den Sitzen, wo er relativ sicher ist. Allerdings nimmt er dort auch dem Kühlschrank die Luft und erschwert ihm somit das Leben, was wahrscheinlich auch letztendlich zum Versagen der alten Versorgerbatterie geführt hat, die wir unlängst austauschen mussten. Daher haben wir den Kamerarucksack in letzter Zeit nach hinten zu den anderen Rucksäcken gelegt.

Gefühlt dauert es eine kleine Ewigkeit, bis ich realisiert habe, was uns da gerade abhanden gekommen ist. Auch Janina, die schließlich ebenfalls aus dem Supermarkt kommt, verhagelt es gehörig die Laune.

Wir ringen immer noch um Fassung, als die Kollegen des Feuerwahrmannes mit einem Pick Up angefahren kommen. Aus irgendeinem ominösen Grund haben sie im Vorbeifahren den Dieb mit einem Handy bei der Tat gefilmt und präsentieren uns das Video. Auch die Überwachungskamera des Supermarktes hat den Täter aufgenommen. Das Aufbrechen des Schließzylinders ging so schnell, dass es beinahe den Anschein hat, er hätte die Tür ganz normal mit einem Schlüssel aufgeschlossen. Schließlich treffen auch zwei Polizisten auf einem Motorrad ein und erkundigen sich nach dem Geschehen. Die Bomberos stellen ihr Video zur Verfügung und Zeugen werden befragt. Wir kommunizieren mit den Beamten per Übersetzungs-App, was eigentlich ganz gut funktioniert. Die Feuerwehrleute haben den Täter nach dem Einbruch noch mit ihrem Auto verfolgt und ihn dabei fotografiert, wie er einige Taschen an ein Auto übergeben hat. All das hilft bei der Fahndung, die auch sogleich gestartet wird. Wir fahren mit den Polizisten zur Polizeiwache, wo zunächst unsere Daten aufgenommen werden und wir den Tathergang schildern sollen. Allerdings können wir dazu leider herzlich wenig beitragen, da wir den Täter ja selber gar nicht gesehen haben, wir waren ja schließlich im Supermarkt, der nebenbei bemerkt passenderweise „Justo y Bueno“ heißt: Gerecht und Gut……

Schließlich werden wir gebeten die Rucksäcke und deren Inhalt genau zu beschreiben. Außerdem sollen wir den Wert der gestohlenen Gegenstände beziffern. Also erstellen wir eine Liste. Was kann schon die dreckige Wäsche wert sein? Beim Wert der Rucksäcke an sich und des Kameraequipments wird es aber schon spannender. Wir listen alles in Euro auf und rechnen die Gesamtsumme in kolumbianische Pesos um.

Ergebnis: 17,5 Millionen.

Der Polizist zieht die Augenbraue hoch, schluckt und schaut mich schräg an. Seine Gedanken kann man wie ein offenes Buch lesen: „Was fahrt ihr Idioten mit so teurem Kram durch die Gegend?“…..

Nun ja es hilft ja nix. Wir bekommen zwei Plastikstühle angeboten und nehmen in der Halle des Reviers platz, von wo aus wir das Geschehen ganz gut beobachten können. Scheinbar halten wir das ganze Präsidium auf Trab. Es wird gefunkt, telefoniert und die Videos und Fotos werden per Whatsapp zwischen den Beamten ausgetauscht. Verrückte neue Welt. Und es scheint sich was zu tun. Hin und wieder taucht einer der beiden Beamten bei uns auf, um uns auf dem neusten Stand zu halten. Ehrlich gesagt hätten wir gedacht, dass sich da gar nichts tut. Aber das Gegenteil ist der Fall. Erste gute Nachricht: der Täter ist bekannt. Wenig später ist das Auto sichergestellt. Und nach etwa drei Stunden, es ist bereits dunkel geworden, teilt man uns mit, dass zwei Männer verhaftet wurden, der Dieb und sein Mittäter aus dem Auto. Zum guten Schluss heißt es, man habe Taschen sichergestellt. Hoffnung keimt auf.

In all dem Durcheinander steht irgendwann mal ein kleingewachsener Mann mit auffallend aufrechter Haltung vor uns. Sein Namensschild verrät uns, dass es sich um den Major, also den Chef der Polizeiwache handelt. Mit Handschlag werden wir begrüßt und bekommen nochmal die Ermittlungsergebnisse von ihm zusammengefasst. Bis die beiden mutmaßlichen Täter jedoch im Polizeirevier eintreffen, vergeht noch eine gefühlte Ewigkeit. Die Zeit vertreibe ich mir mit herumtigern vor dem Gebäude und komme dabei des Öfteren beim „Polizeihund“ vorbei (ein Straßenköter, der vermutlich von den Beamten gefüttert wird und deswegen das Revier als sein Zuhause betrachtet). Auf der gesamten Reise haben wir beinahe in jedem Camp innerhalb von 10 Minuten mindestens zwei Hunde am Auto gehabt, die sich stets über unsere Ankunft gefreut haben. Der hier knurrt und bellt und fletscht jedes Mal die Zähne, wenn ich an ihm vorbei komme. Ganz eindeutig ein gebrauchter Tag.

Polizeistation von San Gil, Kolumbien 2019

Endlich biegen die ersehnten Polizeifahrzeuge in die Straße ein und rot-blaue Lichter zucken durch die Nacht. Zwischen den Streifenwagen fährt das vermeintliche Fahrzeug der Diebe. Die Täter werden an uns vorbei in die Wache geführt uns sogleich beginnt das Verhör. Ein paar andere Polizisten beginnen das Fahrzeug der Diebe unter die Lupe und auseinander zu nehmen. Schließlich werden wir dazu gebeten und bekommen die Taschen im Kofferraum präsentiert. Die Gesichter werden lang, denn unser Hab und Gut ist nicht dabei. Die Aussichten, unser Eigentum wieder zu bekommen, schrumpfen auf ein Minimum.

Da es schon spät geworden ist, parken wir unseren Landcruiser direkt hinter Wache und klappen das Schlafdach auf. Bei der Vernehmung dürfen wir sowieso nicht dabei sein.

Es wird eine unruhige Nacht mit wenig Schlaf. Am nächsten Morgen steht ein freundlich aussehender Herr vor unserem Auto und präsentiert seine Spurensicherungsausrüstung, besser spät als nie. Danach geht es zurück in die Wache, wo wir dann erneut per Übersetzungsapp und Google-Übersetzer ein ausführliches Protokoll aufnehmen. Die Frage nach unseren Taschen beantwortet der Herr Kriminalinspektor leider negativ. Die sind bis dato nicht aufgetaucht und die Diebe sagen auch nicht, wo das ganze Zeugs ist.

Nach etwa zwei Stunden sind wir entlassen. Die Kontaktdaten sind ausgetauscht und wir werden über die Ermittlungsergebnisse auf dem Laufenden gehalten. Außerdem bekommen wir eine Kopie des Protokolls, in dem sich überraschenderweise auch die persönlichen Daten der Täter befinden, inkl. Name und Anschrift…….

Leicht gerädert starten wir das Buschtaxi und wollen nur noch raus aus San Gil. Wir legen die restlichen Kilometer bis nach Barichara zurück und ignorieren zunächst das wunderhübsche kleine Kolonialstädtchen. Unser Ziel ist ein Camp kurz hinter der Stadt, das von zwei Holländern betrieben wird. Joep und Julia haben sich hier ihr Paradies geschaffen und beherbergen Reisende wie uns auf ihrem Grundstück. Leider können wir auch hier den traumhaften Ausblick über das Tal und über Barichara zunächst nicht wirklich genießen. Wir brauchen erst einmal etwas Zeit, um unsere Wunden zu lecken.

Im Guaimaro Camp, Barichara, Kolumbien 2019
Im Guaimaro Camp mit Blick auf Barichara, Kolumbien 2019
Im Guaimaro Camp, Barichara, Kolumbien 2019

Das Camp stellt sich als echter Glücksgriff heraus, in mehrfachem Sinne. Joep erweist sich als wirklich netter Gastgeber und hilft wo er kann. Er telefoniert mit dem Polizeipräsidium und auch mit der Staatsanwaltschaft. Sein fließendes Spanisch ist eben unseren paar Sprachbrocken haushoch überlegen. Es stellt sich heraus, dass wir am Ostermontag, der hier kein Feiertag ist, zusammen mit unserem ermittelnden Detektiv bei der Staatsanwaltschaft vorsprechen sollen. Aufgrund der Karwoche würde bis dahin nicht viel passieren. Aber, so erzählt man Joep, entweder würden die Diebe das gestohlene Gut zurückgeben, oder den Schaden per Bargeld regulieren. So recht glauben wir nicht daran, machen uns aber vorsorglich schon mal Gedanken darüber, wie wir 17,5 Millionen durchs Land transportieren, ohne gleich wieder überfallen zu werden…..

Eigentlich wollten wir die „Semana Santa“ (Osterwoche), eines der höchsten Feste in ganz Südamerika, in Mompox verbringen, wo es eine der größten Prozessionen des Landes geben soll. Dass das nicht stattfinden würde, war uns eigentlich schon mehr oder weniger klar, nun aber war die Geschichte aufgrund des Termins bei der Staatsanwaltschaft ganz gestorben. Was solls, verbringen wir die Osterfeiertage halt in Barichara. Die Stadt ist wirklich schön und eine Prozession gibt es auch hier, wenn auch etwas kleiner. Die Tage bis dahin lassen sich in Joep’s Camp mehr als gut aushalten. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass der Platz es locker in unsere Top 5 schafft.

Hier können wir auch in Ruhe die aufgebrochene Hecktür reparieren. Das ist auch dringend nötig, denn so kann derzeit jeder halbwegs untalentierte Aushilfskarussellbremser die Tür mit einem rostigen Nagel öffnen. Gut, dass die Schließzylinder der Fahrer- und Beifahrertür annähernd baugleich it dem aufgebrochenen Schloss der Hecktür sind. Es muss nur die rückseitige Platte ausgetauscht werden und schon kann man die Tür wieder verschließen. Der kaputte Zylinder wird in die Beifahrertür eingesetzt, die ab nun leider nur noch von innen zu entriegeln ist.

Am Gründonnerstag wandern wir über einen kurzen aber sehr netten Wanderweg durch die Berge bis nach Barichara. Villa de Leyva war ja schon schön, aber Barichara kann da durchaus nochmal eine Schippe drauf legen. Alte koloniale Gebäude, enge gepflasterte Straßen, steile Wege und gepflegte Häuser. Jetzt zur Karwoche platzt die Stadt aus allen Nähten und gib sich redlich Mühe, seinen Besuchern etwas zu bieten. Auch wir machen auf Kultur und schauen uns in der alten Kirche am zentralen Platz ein Konzert an. Die Kirche ist reich geschmückt und die typischen Baren mit Heiligenstatuen, die bei den Prozessionen in den folgenden Tagen durch die Straßen getragen werden, stehen aufgereiht am Mittelgang. Der Tempel ist brechend voll und das Konzert wird passenderweise von der örtlichen Polizeikapelle gegeben. Wir lauschen gerade dem Spiel der Band und der Akustik der Kirche, als wir ein bekanntes Gesicht entdecken. Ein kleingewachsener Mann mit aufrechtem Gang und freundlichen Gesicht bewegt sich durch die Menge. Die Ausgehuniform sitzt adrett und würdevoll schreitet er durch die Kirche. Der Major der Polizeiwache aus San Gil setzt ein Lächeln auf, als er uns erblickt und begrüßt uns erneut per Handschlag. Ein bisschen Smalltalk und schon verabschiedet er sich mit einem schneidigen „permiso!“ und einer angedeuteten Verbeugung, um erneut gemessenen Schrittes seinen Weg durch die Menge fortzusetzen. Halb ungläubig, halb misstrauisch werden wir von den umstehenden Einheimischen beäugt.

Barichara, Kolumbien 2019
Semana Santa in der Kirche von Barichara, Kolumbien 2019
Semana Santa in der Kirche von Barichara, Kolumbien 2019

Auf dem Weg zurück ins Camp geraten wir mal wieder in einen amtlichen Regenguss und kommen nass bis auf die Knochen zu Hause an. Es ist bereits wieder stockfinster, als neue Gäste im Camp ankommen. Mit einer überdimensionalen LED Lichtleiste auf dem Dach, machen sie die Nacht wie mit einem Flutlicht zum Tage, auf der Suche nach einem geeigneten Stellplatz. Die Beiden stellen sich als Martin aus Österreich und Liliana aus Mexiko vor und sind quasi auf ihrer Hochzeitsreise, wenn auch exakt ein Jahr verspätet. Die beiden als nur nett zu bezeichnen wäre unangemessen, sie werden sich in den nächsten Tagen noch als wahre Engel entpuppen.

Am Karfreitag ist „Großkampftag“ in Barichara. Der Hauptumzug steht an und die Straßen sind noch voller, als an den Tagen zuvor. Der ganze Ort hat sich fein herausgeputzt und nach stundenlanger Andacht werden endlich die Heiligenstatuen durch die Straßen getragen. Das Ganze dauert gefühlte Ewigkeiten und die jungen Männer, die die Ehre haben, die schweren Baren durch die Gassen zu schleppen, können einem fast Leid tun. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn und der Schmerz der Last auf den Schultern ins Gesicht geschrieben. Immer wieder kommt der feierliche Umzug zum stehen und die Jungs werden von ihren Kameraden mit Wasser und tröstenden Worten versorgt. Sehr eindrücklich, der „kleine“ Umzug. Was muss das erst für ein Spektakel in Mompox sein….

Semana Santa Prozession, Barichara, Kolumbien 2019
Semana Santa Prozession, Barichara, Kolumbien 2019
Semana Santa Prozession, Barichara, Kolumbien 2019
Semana Santa Prozession, Barichara, Kolumbien 2019

Mit Martin und Liliana passt derweil die Wellenlänge und nachdem wir die Geschehnisse der letzten Tage geschildert haben, bietet Liliana spontan an, uns zum Termin bei der Staatsanwaltschaft als Dolmetscherin zu begleiten. Das wäre mehr als hilfreich.

Aber bis dahin sind es noch ein paar Tage, die wir recht gemütlich im Camp verbringen. Auch hier gibt es viel zu entdecken. Auf dem Weg zur Küche wohnt eine ziemlich beeindruckende Tarantel, die wir kurzerhand Fred taufen. Und nach den beinahe allabendlichen Regengüssen suchen noch weitere interessante Zeitgenossen Schutz in den offenen Räumlichkeiten. Große Agakröten hüpfen durch den Wohnbereich, ein Skorpion geht in der Wohnküche auf Beutezug und eine weitere Tarantelart kommt über die Wand der Dusche gekrabbelt. Fred übrigens gehört zu einer Spezies, die man besser nicht reizen sollte. Er kann nämlich die Haare an seinem Hinterleib mit den Beinen abstreifen und sie als Waffe einsetzen, angeblich brennt es wie Feuer, wenn man sie abbekommt.

im Guaimaro Camp, Kolumbien 2019
Nachts im Guaimaro Camp, Kolumbien 2019
Barichara, Kolumbien 2019
Tuk Tuk zurück zum Camp, Barichara, Kolumbien 2019

Mittlerweile sind auch noch ein paar weitere Gäste im Camp angekommen und wir verbringen den Ostersonntag mit einem traditionellen Osterfeuer in internationaler Runde. Kolumbien, Niederlande, Österreich, Mexiko, Frankreich, USA und Deutschland. Alle hocken ums Feuer und später wird zusammen gegrillt. Ein entspannter Abend, bevor dann endlich der große Tag bei der Staatsanwaltschaft ansteht.

Pünktlich um acht Uhr stehen wir bei unserem Detektiv auf der Matte, Liliana und Martin haben es sich tatsächlich nicht nehmen lassen, uns zu begleiten. Der Beamte begleitet uns ins Justizgebäude und zusammen hocken wir im Büro der Staatsanwältin. Eine ziemlich aufgedonnerte, permanent falsch lächelnde Dame, die ein viel zu enges rosa Kleidchen trägt, das zudem noch viel zu kurz ist, um ernst genommen zu werden. Wir rollen noch mal kurz die Fakten auf und die Staatsanwältin (im Folgenden als Lady in Pink bezeichnet) teilt uns mit, dass der Anwalt der Diebe um halb elf Zeit für uns hätte, wie gnädig. Bis dahin vertreiben wir uns die Zeit in einem Café. Kurze Zeit später stehen wir wieder auf der Matte und auch der Anwalt des Diebesgesindels ist fast pünktlich. Die Lady in Pink heißt ihn herzlich willkommen und spricht ihn respektvoll, fast säuselnd, mit Doctore an. Ein Mafiaanwalt, wie man ihn sich vorstellt. Gut gekleidet, schmieriger Typ mit Fischaugen und einer viel zu aufdringlichen, riesigen Armbanduhr. Viel Smalltalk gibt’s nicht, der fischäugige el Doctore kommt gleich zur Sache und bietet folgenden Deal an: Wir verzichten auf eine Anklage und bekommen im Gegenzug unseren Kamerarucksack wieder. Bumm! Der andere Rucksack sei nicht mehr auffindbar, der hätte für die Diebe keinen Wert gehabt und wäre nur belastend gewesen. Noch mal Bumm! Die Lady in Pink lächelt milde und freut sich ob des Ergebnisses. Wir fragen nochmal nach, ob es denn nun als erwiesen gilt, dass es sich bei den Beiden tatsächlich um die Täter handele? Das scheint aber unstrittig zu sein. Die Lady in Pink strahlt über alle vier Backen und versichert uns, dass das doch ein fantastisches Ergebnis sei. Uns fehlen die Worte, Liliana fängt langsam an nervös zu werden und auch Martin hat einige Denkfalten auf der Stirn. Wir beratschlagen uns kurz und kommen zu dem Ergebnis, dass wir wohl kaum eine Wahl haben, wenn wir unseren Schaden gering halten wollen. Derweil beginnt nun zwischen Liliana, der Lady in Pink und Fischauge der fällige Smalltalk. Liliana wird nach ihrer Herkunft befragt und beantwortet das mit Mexiko. Daraufhin starten die Lady in Pink und Fischauge eine angeregte Diskussion und kommen zu dem Schluss, dass in Mexiko ja alles viel schlimmer sei und dort eine solche Straftat ja völlig ungesühnt bleiben würde. Kurzzeitig machen wir uns Sorgen um Liliana’s Contenance und befürchten, dass sich gleich hier im Büro der Staatsanwältin die nächste Straftat zutragen wird, aber Liliana bleibt (zumindest äußerlich) cool und würgt die Diskussion mit der Bemerkung ab, dass das wohl kaum für diesen Fall relevant wäre. Wir haben uns derweil darauf verständigt, dem faulen Deal zustimmen zu müssen. Allerdings klärt uns Fischauge noch über einen Pferdefuß auf. Er habe noch gar nicht mit seinen Schützlingen gesprochen und müsse erst klären, ob diese denn das Diebesgut tatsächlich noch hätten. Wie bitte? Worüber reden wir denn die ganze Zeit???

Tja, das seien die Fakten. Heute Nachmittag um 16 Uhr wisse er mehr. Spricht’s, das Fischauge und verabschiedet sich mit der Entschuldigung, in einen anderen Termin zu müssen, frei nach dem Motto: „ich muss weg.“ Leicht sprachlos verabreden wir also, um 16 Uhr wieder hier im Büro der Staatsanwältin zu sein.

San Gil, Ostermontag, 16 Uhr, Büro der Staatsanwältin. Anwesende: Die Lady in Pink, Liliana und Martin, Janina und Jens. Wer fehlt? Man kann’s beinahe erraten, der Anwalt des Diebesgesindels. Aber was solls, springt halt die Staatsanwältin ein und betätigt sich als eigentliche Vertreterin von Recht und Ordnung kurzerhand als Sprecherin der kriminellen Gegenseite. Uns wundert hier schon lange nix mehr. El Doctore ließe ausrichten, dass die Diebe uns unser Eigentum am Dienstag nächster Woche aushändigen wollen…. Angestrengtes, ungläubiges Schweigen…. Ich bitte Liliana folgende Frage zu stellen. Wenn sich das Diebesgut noch im Besitz der Verbrecher befindet, warum müssen wir dann über eine Woche warten, bis wir unser Zeugs zurück bekommen? Die Antwort der Staatsanwältin ist recht simpel. Das Diebesgut befindet sich nicht mehr hier in San Gil, sondern wurde mittlerweile in den Heimatort der Diebe verbracht. Die wohnen in der Kaffeeregion und das sei eine 16-stündige Fahrt bis hierher. Ich rechne kurz nach. Okay, es ist 16 Uhr. D.h. wenn sich die Banausen ins Auto setzen und losfahren, könnten sie morgen früh hier sein und wir könnten den Fall abschließen. Falls sich das mildernd auf ihr Strafmaß auswirkt, sollte das doch auch in ihrem Interesse liegen. Was hält sie also davon ab? Auch dafür hat die Lady in Pink eine Antwort parat. Nun ja, die Angeklagten stehen unter Hausarrest und dürfen ihren Distrikt nicht verlassen (Kurze Randnotiz: Die Schuldfrage ist unstrittig, die Diebe gelten als überführt. Aber anstatt im Knast zu sitzen, hocken sie gemütlich zu Hause. Und wer nun denkt, unser Eigentum würde von der Polizei sichergestellt werden, der irrt….). Das Diebesgut müsste also von einer der Ehefrauen überbracht werden, fährt die Lady in Pink fort. Kurz liegt mir auf der Zunge zu fragen, ob in Kolumbien die Zeit für Frauen anders läuft, ich verkneife mir das aber, auch um unsere Übersetzerin nicht in die Bredouille zu bringen. Wir lassen also statt dessen nachfragen, was denn nun die stolzen Ehefrauen des Gesindels davon abhält, sich entweder ins Auto, oder in einen Bus zu setzen, um ihrem Göttergatten einen Teil der Freiheitsstrafe zu ersparen? Das weiß die Staatsanwältin nun schließlich auch nicht, aber sie bietet an, das Fischauge anzurufen und nachzufragen. Sehr großzügig, wir bitten darum. Das Telefonat verläuft für unseren Geschmack irgendwie merkwürdig. Wir können es nicht richtig greifen, aber es wirkt alles sehr aufgesetzt. Schließlich strahlt uns die Lady in Pink aber fast übermütig an und schwingt triumphierend den erhobenen Daumen beinahe durchs ganze Büro. Sie konnte die Wartezeit auf Freitag verkürzen. Fast haben wir das Gefühl, man wolle uns suggerieren, hier als Sieger vom Platz zu gehen. Wir lassen Liliana darum bitten, uns doch bitte in den kommenden Tagen einen Beweis dafür zu erbringen, dass sich unser Eigentum noch immer im Besitz der Diebe befindet. Ein Handyfoto, per Whatsapp gesendet, wäre ja schon mal ein Anfang. Die Lady in Pink willigt ein, Fischauge darum zu bitten. Versichert uns aber mehrmals, dass das alles nicht in ihrer Verantwortung läge, sondern dass wir uns auf das Wort der Verbrecher verlassen müssten.  – Ohne Worte – .

Da wir dringend einen Tapetenwechsel brauchen und auf gar keinen Fall bis nächsten Freitag in Barichara ausharren wollen, auch wenn das Camp von Joep und Julia noch so schön ist, beschließen wir ein paar Tage in Richtung Chicamocha Canyon zu fahren. Und auch Martin und Liliana müssen langsam aber sicher ihre Reise fortsetzen. Sie wollen Richtung Süden und sich ebenfalls Villa de Leyva anschauen. Allerdings haben sie bereits beschlossen, am Freitag wieder zur Stelle zu sein, Widerspruch zwecklos. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes gerührt und unser Widerspruch stößt tatsächlich auf taube Ohren.

Wir holpern also die nächsten Tage über lehmige Pisten, durch tiefe Schluchten und enge Serpentinen. Die Abwechslung tut gut, auch wenn wir die Sache nicht ganz aus dem Kopf kriegen. Permanent wabern vage Ideen durch unsere Köpfe, wie sich diese Sache wohl weiter entwickeln wird…..

 

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